Boxgirls
Starke Mädchen, sichere Gemeinschaft
Boxgirls: ein Boxklub für Mädchen in Berlin-Kreuzberg — so hat alles angefangen. Daraus machte Heather Cameron eine international erfolgreiche Organisation.
Wir treffen uns in einem Kreuzberger Hinterhof. Hier ist das Büro der gemeinnützigen CamP Group, eine Etage mit etwa 30 Arbeitsplätzen, alles einfach gehalten, nicht das schicke Design, mit dem hier viele Start-ups und Hauptstadtrepräsentanzen glänzen wollen. Alter, bodenständiger Kreuzberger Charme, passend zur Nachbarschaft: viele Menschen mit Migrationshintergrund, kulturkreative und alternative Initiativen, sozialer Brennpunkt. Kein Wunder, dass Heather Cameron hier gelandet ist: „Angefangen haben wir mit einem kleinen Sportverein, aber inzwischen verstehen wir uns als Think-and-Do-Tank. Wir haben vielen anderen Projekten an den Start geholfen, haben sie dabei unterstützt, Partner zu gewinnen und ihre Arbeit durchzuführen.“
2001 hat sie in Kreuzberg mit einem Boxtraining für Mädchen begonnen. Wie sie darauf kam? Cameron war schon Boxerin, als sie nach Deutschland kam, dann Berliner Boxmeisterin und hielt verschiedene Professuren, aktuell für soziales Entrepreneurship und Innovation in den USA. Nicht überraschend, dass sich aus den Anfängen mittlerweile viel mehr entwickelt hat: Die Boxgirls sind an mehreren Standorten aktiv mit dem Ziel, Mädchen zu stärken. Dazu vereint die CamP Group Angebote für Benachteiligte sowie Beratung von Initiativen und Forschung. Über allem steht das Ziel, soziale und ökologische Probleme zu lösen.
Frauen stärken
Cameron erzählt, dass es von Anfang an um mehr ging als um Boxen. Sie spricht von einer „Akademie für junge weibliche Führungskräfte“. Ihrer Erfahrung nach hilft Kampfsport Menschen dabei, ihre Emotionen und ihre Grenzen zu verstehen. Zu dem, was man dabei lernt, gehören auch Dinge wie strategisches Denken, Disziplin, Selbstkontrolle und sich durchzusetzen. Gestärkt durch Training und Gemeinschaft gehen die jungen Frauen gesellschaftliche Probleme souveräner an. Sie kämpfen für Sichtbarkeit von Frauen, saubere Umwelt, gegen Geschlechterstereotypen und für gleichberechtigten Zugang — beim Sport, in ihren Nachbarschaften und überall. Für Cameron ist das ein „Sport- und Demokratieprojekt“. Aber mit Boxen alleine kann man nicht alle Mädchen erreichen. Und Cameron merkte schnell, dass sie nicht selber allen Mädchen persönlich Boxen beibringen konnte.
Wie also die Wirksamkeit erhöhen? „Dazu kann man neue Institutionen aufbauen oder mit schon bestehenden zusammenarbeiten. Diese sozialen Firmen sind ein Hebel, um mehr Druck aufzubauen und mehr Wirkung zu erzielen. So erreichen wir nicht nur einzelne Mädchen, sondern ein gesamtes System.“ Vielleicht eckt ein selbstbewusstes Mädchen mehr in der Schule an. Oder vielleicht wird ihr Verhalten sozialer und sie entwickelt mehr Disziplin im Unterricht. So oder so ist es wichtig, auch mit den Lehrer*innen zu arbeiten. Denn sie müssen bei dem angestoßenen Wandel dabei sein und mitwirken. So entsteht ein sich immer weiter ausweitendes Netzwerk von Veränderungen: die Mädchen, die Lehrer*innen, die Eltern und letztlich die ganze Gesellschaft.
Netzwerke vernetzen
Ein Schritt in diese Richtung war ein Netzwerk der Netzwerke. Hier kommen die Organisationen zusammen, die sich bereits für sozialen Wandel engagieren und schon Praxiserfahrungen einbringen können. Durch Austausch und Coaching unterstützen sie sich gegenseitig. Dann geht es um Fragen wie: Was wissen wir? Was fehlt uns? Wie stopfen wir Lücken im Know-how? Wie verschaffen wir uns Zugang zu Ressourcen? Ein gutes Beispiel hierfür ist RespAct, eine digitale Plattform mit pädagogischen Materialen. Interessierte Schulen und soziale Initiativen bekommen hier Module und Handbücher zu Themen wie Willkommenskultur, Umweltgerechtigkeit und Belebung des öffentlichen Raums. Die Materialien kommen alle aus der praktischen Arbeit der CamP Group, etwa aus Schulprojekten und Sommercamps. Neben der digitalen Vernetzung bietet RespAct auch Workshops für Trainer*innen und praxisorientiertes Lernen an, um insbesondere Kindern mit Migrations- und Fluchthintergrund auf spielerische Art die Themen Umwelt- und Naturschutz näherzubringen.
Was diese Arbeit tatsächlich bewirkt, das zeigen laufende Untersuchungen. So wurden die teilnehmenden Kinder vorher und nachher befragt. Der Satz „Ich bin davon überzeugt, dass ich mit schwierigen Situationen in der Zukunft umgehen kann.“ fand nach dem Projekt 67 Prozent Zustimmung, vorher nur 38 Prozent. Die Kinder trauen sich also signifikant mehr zu. Die Evaluationen werden teilweise von der Deutschen Sporthochschule Köln und der Oxford University begleitet, um einen hohen wissenschaftlichen Standard zu gewährleisten und die Angebote stetig weiterzuentwickeln.
Boxgirls in Südafrika
Mittlerweile haben die Berliner Boxgirls auch in anderen Ländern Gruppen beim Aufbau unterstützt, etwa in Südafrika. Das Team dort bestand unter anderem aus alleinerziehenden Müttern, die ehrenamtlich aktiv waren. Die gute Arbeit hat sich herumgesprochen, bis in die Stadtverwaltung. Bald wurden die Frauen mit Qualifizierungsprogrammen für andere Projekte beauftragt. Das war eine wichtige Wertschätzung, die ihr Projekt weiter befeuerte. Wesentlich ist, dass die Frauen vor Ort Formen gefunden haben, wie mit einfachen Mitteln gute Programme möglich sind. Lisa Opel, die von Berlin aus das Projekt begleitet, weist auf einen wichtigen Aspekt hin: „Hier wie dort gehört auch dazu, die finanzielle Basis zu stärken. Überall auf der Welt studieren Frauen nicht unbedingt BWL oder beschäftigen sich mit Finanzen in der Schule.“ Da gibt es Wissenslücken, die geschlossen werden müssen, damit die Projekte ihre Wirkung entfalten können. Immer wieder hat es sich als hilfreich erwiesen, verschiedene Einkommensquellen zu eröffnen und nicht vollständig auf eine Förderung angewiesen zu sein.
Die Energie von Cameron und ihren Mitarbeiterinnen, ihr Brennen für Veränderung, sodass sie fast nicht auf ihren Stühlen sitzen können, das ist wohl der Hauptgrund für ihre Erfolgsgeschichte. „Wir sind ein Mini-Projekt,“ sagt Cameron, „aber wir werden eingeladen zu Diskussionsveranstaltungen der UN Women, weil wir uns auskennen mit gender-basierter Gewalt, Nachbarschaftsentwicklung und Wirkung.“ Bei der Entwicklung der Organisation hat auch die Anerkennung durch Preise geholfen. So wurde die CamP Group bereits 2010 als UN-Modellprojekt nominiert und Boxgirls international erhielt den Sonderpreis der Bundeskanzlerin bei dem Wettbewerb startsocial. Später kamen weitere Preise hinzu, zum Beispiel als Ausgezeichneter Ort im Land der Ideen.
„Ich bin stolz, Boxerin zu sein“, sagt das Mädchen von den Boxgirls Nairobi in einem Video. Sie will gut boxen können. Und sie will mehr. Sie will Armut wegboxen und Vergewaltigung und Verbrechen bekämpfen. Und das dürfte ganz im Sinne der Projektmacher*innen im Kreuzberger Büro sein.