Gut Klostersee
Die mit den Kühen leben
Gäbe es auf diesem Hof einen Thron, um den sich alles schart, dann stünde er neben dieser elektrischen Bürste. Wie sie gerade Revoltinas Rücken krault, behände über das Fell huscht — im Zentrum des Stalles, der wiederum jedes nahe Gebäude an sich ausrichtet wie ein Magnet. Aufrechten Ganges hat Revoltina, die Dominante, gerade Nirvana verscheucht, die etwas Verhuschte.
Nun rekelt sich die schwarzbunte Kuh an den rotierenden Kunststoffborsten unter gleißender Sonne. Oben ziehen Gänse gen Norden aufs Meer hinaus, unten fährt ein Traktor Gülle aufs Land. Längst lockert der Winter seinen Griff. Dieser Stall ist anders als andere. Auf den 1.000 Quadratmetern verstellt keine Außenwand die Sicht, in der Mitte öffnet sich gar das Dach zum freien Himmel. Die 60 Rinder laufen ungebunden umher. Oder: Sie könnten, wenn sie wollten. Aber meist steht man im frischen Stroh, kaut und beobachtet das hektische Treiben um sich herum in der Erwartung des Frühlings. Ein Kuhleben kommt hier recht gediegen daher. Auf dem Demeter-Hof Klostersee im ostholsteinischen Cismar direkt an der Ostsee suchen fünf Familien einen neuen Weg — raus aus der konventionellen Tierhaltung mit Massenzucht und Quälerei. In einer Betriebsgemeinschaft ähnlich einem Kollektiv beackern sie 80 Hektar, 80 weitere stehen den Kühen zum Weiden bereit.
„Ich bin Bauer, um die Welt zu retten“, sagt ein Baum von Mann. Knut Ellenberg, 49, eine Selbstgedrehte auf der Unterlippe, grimmiger Seemannsblick und dafür ungewöhnlich sanfte Stimme, sagt, er lebe mit den Tieren. Auch für sie. Kennt ihre Namen, ihre Launen und Vorlieben. Die Kühe, meint er, gehörten zum Hof dazu; zur ökologischen Kreislaufwirtschaft, nach der Tierdung in Maßen den Boden fruchtbar hält und ihn nicht überdüngt. Ihre Milch wird auf dem Hof Klostersee veredelt: Neben dem Stall, von der GLS Bank mitfinanziert, steht eine Käserei. Und einen Steinwurf weiter, unweit des Hofladens, trägt weißer Rauch aus der Backstube den Duft von Brot, Kuchen und Torte ins Azurblau. Herzstück des Hofes aber ist der Stall. Nach dem Melken traben die Mütter zu ihren Kälbern. Angebunden ist keine, die Hörner bleiben lang. Hier indes durchbricht Knut Ellenberg das Idyll und schickt alle paar Wochen einen zweieinhalbjährigen Ochsen zum Schlachthof. „Wir essen nur einmal in der Woche Fleisch“, sagt er. Viel zu viel werde davon konsumiert.
„Vegetarismus ist eine gute und bereichernde Einstellung. Tiere nicht zu essen, beantwortet aber noch nicht die Frage, wie wir mit den Nutztieren, die seit vielen Jahrhunderten mit uns leben, umgehen sollen. Ich selbst habe mich dafür entschieden, konkret Verantwortung für meine Tiere zu übernehmen.“ Das sieht Peter Zodrow anders. „Artgerecht ist nur die Freiheit“, sagt er ins Telefon —er sitzt 400 Kilometer weiter südlich in Düsseldorf in seinem Büro. Peter Zodrow ist viel unterwegs. Er führt drei vegane Restaurants in der Landeshauptstadt, ein weiteres eröffnet bald in Essen —allesamt mit Finanzierung der GLS Bank. „Ich habe früher gern Fleisch gegessen“, sagt der Gastronom. „Aber dieses kurze Geschmackserlebnis steht in keiner Relation zum Leid, das dem vorausgeht.“ Sein Fazit: Eine artgerechte Haltung könne es in der Landwirtschaft prinzipiell nicht geben. „Das Tier gehört nicht in die Kreislaufwirtschaft“, macht er sich für vegane Landwirtschaft stark. „Es müssen keine tierischen Fäkalien für den Boden sein.“ Dabei denkt er an Stickstoff abgebende Pflanzen. Zwei Weltsichten, die sich gegenüberstehen. Die GLS Bank finanziert beide. „Wir finanzieren ökologische Landwirtschaft und die Biobranche“, sagt Cornelia Roeckl. Sie betreut Firmenkunden bei der GLS Bank und ist Branchenexpertin. „Innerhalb dieses Rahmens wählt jeder Kunde seinen Weg — und wir ermöglichen mit ihnen zusammen die Alternativen zur konventionellen Landwirtschaft.“ Die sind nötig: 60,3 Kilogramm Fleisch und Wurst im Jahr verzehrt jeder Deutsche. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung dagegen empfiehlt einen wöchentlichen Konsum von nicht mehr als 300 bis 600 Gramm. Der Anteil der Vegetarier beträgt nach Angaben des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft zwei Prozent der Gesamtbevölkerung, für Veganer gibt es nur Schätzungen: Sie liegen zwischen 0,5 und 1,1 Prozent.
Die Suche nach neuen Wegen führte auch Jannis auf den Hof Klostersee. Der 22-Jährige hat eine Scheibenegge hinter den Traktor gespannt und düst übers Kleegras; der Boden soll aufgelockert und fürs spätere Pflügen vorbereitet werden. Auf dem Hof macht er eine Ausbildung zum Landwirt. „Ich war Veganer“, sagt er. Seine Einstellung habe sich hier auf dem Hof geändert. „Jetzt habe ich die Tiere vor meinen Augen und habe es in meiner Hand, den Umgang mit ihnen selbst zu gestalten.“ Dass — hin und wieder —Fleisch auf seinem Teller lande, empfinde er nun als natürlich. Nach getaner Arbeit stellt er den Trecker ab und geht zum gemeinsamen Mittagessen ins Haupthaus — es gibt Gemüsesuppe mit rotem Curry. Gegenüber der Küche, am Eingang zum Käsekeller, hängt ein Zettel mit einem Gedicht Rilkes: „Man muss den Dingen / die eigene, stille / ungestörte Entwicklung lassen / die tief von innen kommt / und durch nichts gedrängt / oder beschleunigt werden kann.“ Das verstehen die Käselaibe, die drinnen auf Holzregalen ruhen und reifen, ganz gut. Aber dieser Zettel — er passt hier, auf dem Hof Klostersee, an jede Tür.
Quelle: Bankspiegel 01/2015
Fotos: Hendrik Rauch
Stand: Frühjahr 2015