Next Organic
Bio reloaded
Die Plattform Next Organic fördert nachhaltige Innovationen und junge Gründer*innen in der Bio-Branche.
Christian Eichbauer (GLS Bank) interviewte Gründer Jiro Nitsch (auf dem Foto 2. von rechts) für den Bankspiegel.
Irgendwann in den 80ern stand er einmal mit seinen Eltern im Gewächshaus ihrer kleinen Bioland-Gärtnerei in Schleswig-Holstein. Mutter und Vater verhießen dem jungen Jiro Nitsch: Die Menschheit werde sich eines Tages der ökologischen Landwirtschaft zuwenden, werde regional denken und urban leben. Anders seien die Milliarden nicht zu versorgen, die irgendwann die Welt bevölkern werden. Für den Jungen hörte sich das an wie: Irgendwann wird die Menschheit den Mars bevölkern. Denn ringsum war industrialisierte Landwirtschaft, die sich bereits damals weit in den Fängen der global agierenden Chemiekonzerne befand. Wie sollte sich das jemals ändern? Und dennoch zeichnet Jiros Lebensweg die Voraussicht seiner Eltern nach. Heute ist er ein wichtiger Wegbereiter für die neue Generation der wachsenden Ökobranche.
Jiro, du hattest sehr unkonventionelle Eltern. Wie war das für dich?
Wir aßen bio-vollwertig nach der makrobiotischen Ernährungslehre von George Ohsawa, hatten unsere Ökogärtnerei und einen Bioladen und vieles anderes, was zu der Zeit nicht gerade üblich war. Da musste ich oft kämpfen um die Akzeptanz meiner Klassenkameraden. Wir waren irgendwie von einem anderen Stern. Dazu mein eher ungewöhnlicher Vorname. Mit den Jahren wuchsen der Stolz und das Verständnis für die Überzeugung meiner Eltern. Heute bin ich froh, dass meine Mutter mir diesen Namen gegeben hat und wir so aufgewachsen sind!
Aber irgendwann wurdest du akzeptiert?
Ja schon! Es hört sich banal an, aber der Streuobst-Apfelsaft von Voelkel hat mir damals eine Tür geöffnet. Den habe ich meinen Kumpels serviert. Die waren bald ganz versessen darauf. So richtig leckerer naturtrüber Direktsaft, von Streuobstwiesen — das ist ein himmelweiter Unterschied zu den industriell gekelterten Säften. Da merkte ich dann, was meine Eltern mir Tolles mitgegeben hatten.
Du hattest auch eine Basketball-Karriere begonnen. Warum ist daraus nichts geworden?
Ich war damals Punk, hatte Probleme mit den vielen Neonazis am Ort und eckte auch bei den Lehrern und Trainern ständig an. Darum habe ich mich entschieden: weg von den Freunden und der Mannschaft und ohne wirklichen Lebensplan nach Berlin. Meine Mutter hat mir zu der Zeit den Weg bereitet und mir ein Praktikum bei Klaus Bartels organisiert, dem Chef des Demeter-Großhändlers Midgard Naturkost & Reformwaren. Sie kannte ihn gut, weil sie dort für ihren Naturkostladen eingekauft hat und diverse regionale Produzenten an ihn vermittelt hat. Mit den Jahren wurde Klaus Bartels dann ein Mentor für mich. Er war locker drauf und scherte sich nicht um Zeugnisse, das hat mich beeindruckt. Die Arbeit im Großhandel hat mir dann unheimlich viel Spaß gemacht. Ich habe mich voll reingehängt und mit dem Bio-Boom und dem Wachstum habe ich dann immer mehr Verantwortung übernommen und letztlich den Einkauf und Verkauf koordiniert. Klaus Bartels kannte die Größen der Branche, hat mir alles gezeigt und mich irgendwann sogar zu seinem Nachfolger bestimmt. Leider haben wir die Übergabe nicht gut hinbekommen. Ich wollte wohl zu viel Veränderungen für das Unternehmen.
Darum bist du 2012 dann noch mal raus aus der Komfortzone, hast den guten Job aufgegeben und gekündigt. Einfach so, ohne Plan?
Ja, da habe ich meinen Lebensstil und meine Kosten wieder eingedampft. Aber ich hatte bereits mit Freunden die Bio Messe Berlin konzipiert und gegründet, die erste vertriebsoffene Biofachmesse in Berlin für den ostdeutschen Raum. Und die wollten wir dann erfolgreich machen. Wir hatten auf Anhieb 180 Aussteller und 200.000 Euro Umsatz im Jahr mit allen großen Unternehmen der Branche. Zu der Zeit war Berlin kulinarisch noch in den Anfängen. Die Idee war, einen Aufbruch zu schaffen und die alten Strukturen der Naturkostbewegung zu öffnen. Wir haben uns stark gemacht für die neue Generation. Leider hat uns später ein Großer der Biobranche wegen eines Nebenjobs bei Dennree unterstellt, ich handele auf deren Rechnung. Auch wenn das Quatsch war, hatte das Unsicherheit und Boykott zur Folge. Also: wieder mal von vorne anfangen. Die Gegenwehr der sogenannten „Biopioniere“ und natürlich die Fehler, die man als Gründer am Anfang so macht, haben uns ziemlich zurückgeworfen. Wir waren finanziell am Ende, nur durch eigene Kraft und den starken Rückhalt unserer Familien und Freunde haben wir durchgehalten. Auch mit der GLS Bank hatten wir einen regen, emotionalen Austausch. Sie hat die Entwicklung bis heute begleitet und mein neues Vorhaben, die Next Organic, maßgeblich unterstützt.
Mit der Next Organic organisierst du jetzt eine Plattform für junge Gründer*innen, die an zukunftsfähigen Ökounternehmen tüfteln und die ebenfalls keinen Bock haben auf die alten Strukturen.
Ja, wir haben das Netzwerk ohne Risikokapital oder große Partner aufgebaut. Du siehst einen Missstand, und obwohl du keinen Investor hast, legst du los — und machst immer weiter und denkst nicht ans Geldverdienen. Das ist unsere Einstellung. Und genauso denken viele Gründer*innen, die auf der Next Organic ausstellen. Das heißt, nicht einen der netten Jobs schnappen, sondern mit 1.500 Euro brutto in ein WG-Zimmer oder bei deiner Mutter unterschlüpfen. Aber du bist Gründer! Du machst dein Ding! Und heute zeigt sich an vielen Stellen, dass meine Eltern mit vielem Recht hatten. Ich glaube, die Gesellschaft kann es schaffen — dezentral, regional und nachhaltig.
Foto: Copyright 2017 Stefan Haehnel